Mezinárodní tisk
5. listopadu 2009
.
Frankfurter Neue Presse
Leerlauf des Leidens
Michael Kluger
Wenn man reinkommt in den dunklen Theater-Kasten, steht sie schon da auf der leeren, schwarzen Bühne: in Unterwäche, den Leib mit Klebeband verschnürt wie eine Skulptur von Gottfried Helnwein. Nur ein Arm ist frei, eine Hand ist auf die Scham gepresst.
Wenn man reinkommt in den dunklen Theater-Kasten, steht sie schon da auf der leeren, schwarzen Bühne: in Unterwäche, den Leib mit Klebeband verschnürt wie eine Skulptur von Gottfried Helnwein. Nur ein Arm ist frei, eine Hand ist auf die Scham gepresst. Valery Tscheplanowa reißt sich das Isolierband vom Mund (Regie: Karoline Behrens) und hebt mit rauer Stimme an: «Ich geh’ doch nicht in eine Kneipe und heul’ vor mich hin.» Nein, sie bleibt stehen und redet – bis das Publikum die Flucht ergreift.
Roland Schimmelpfennigs im Jahr 2000 an der Berliner Schaubühne uraufgeführter «Monolog für eine Frau» handelt von einem Verlust. Ein Mann hat sie verlassen, ein pedantischer Zeitnehmer und Zollstockbenutzer offenbar, geblieben sind nur seine Schuhe und Strümpfe. In einer manischen Litanei flackern Erinnerungen durch ihr Gehirn, Realitätsfragmente, Wortfetzen. Zwanghaft spielt sie immer wieder dieselben Szenen durch: das verunglückte Gespräch am Kneipentisch, Begegnungen in der Wohnung, Straßenbilder, versäumte Küsse. Wie in einem Bio-Computer rattern die Sätze und verfangen sich in Endlosschleifen, als drücke jemand immer wieder die Reset-Taste: ein mechanischer Leerlauf des Schmerzes. Nach einer halben Stunde hat man’s begriffen. Nach 40 Minuten fragt Tscheplanowa ins Publikum, wie spät es sei. Da ist es längst zu spät. Man hat schon alles Interesse verloren. Aber es geht weiter. Sie hört nicht auf. Quälend wabern die Textflächen. Dieser Frau ist nicht zu helfen. Die ersten, von der Schauspielerin aufgefordert, erheben sich und gehen.
Draußen an der Garderobe steht ein finster dreinblickender Mann. Vielleicht war er’s. Auch wenn er keinen Zollstock hat. klu




Nahoru