Mezinárodní tisk
15. srpna 2009
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Die Welt
Die Männerversteherin
Hermann Weiss
Mit einer verträumten Anti-Kollektion hat die Münchner Designerin Alice Knackfuß, 26, den begehrten "Diesel-Award" gewonnen. Ab Herbst arbeitet sie in der Kreativabteilung des italienischen Modekonzerns
In eine Landschaft, die am Tag vor Hitze flimmert und am Morgen im Nebel dampft, hat sie in Gedanken und später in ihrem Workbook eine Kompanie junger Männer gestellt, die irgendwie verloren wirken. Ein versprengter Haufen. Aus einer anderen Zeit? Mit Mullbinden um den Kopf erinnern ihre Protagonisten an Gottfried Helnweins "malträtiertes Kind", das der Maler als Chiffre für den wehrlosen Menschen verwendet.
Männer haben ihre Eigenarten. Sie sind stur. Aber lernfähig. Und wenn sie erst mal Gefallen gefunden haben an einer Sache, übertreiben sie es gern. Zum Beispiel in modischen Belangen.
"Es gibt mittlerweile immer mehr Männer, die auf Teufel komm raus trendy sein wollen. Die alles kaufen und tragen, was angesagt ist", sagt die Münchner Designerin Alice Knackfuß.
Wo man früher in den Städten nur verkniffenen Anzugträgern in Einheitsgrau begegnete, tummeln sich heute die Beckham-Schweinsteiger-Lookalikes. Junge und ältere Erwachsene, die sich für keine noch so kurzlebige Mode-Torheit zu schade sind. Die die übertriebene Dezenz einer vermeintlichen Originalität opfern und durch Mimikry zu Abziehbildern werden.
Es ist zum Heulen, sagt Alice Knackfuß. Die Zeiten, als Männer sich von ihren Frauen anziehen ließen und Vati morgens in die Kombi schlüpfte, die ihm Mutti am Vorabend bereitgelegt hatte, sind vorbei. Die Emanzipation der Männer hat dazu geführt, dass sie heute nicht mehr nur ihren Körper, sondern auch ihren Look definieren. Nur leider machen sie zu wenig aus den Möglichkeiten, die ihnen ihr neues Selbstverständnis eröffnet. "Sie tauschen im Prinzip nur eine Uniform gegen die andere. Denn der Mainstream treibt ihnen das Individuelle systematisch aus."
Männer, sagt Knackfuß, sind die eigentlichen Fashion-Opfer. Und was sie will, ist, dass sie ihre modische Unschuld neu entdecken. Dabei kommt die 26-jährige Münchnerin in letzter Zeit ganz gut voran. Nachdem die Absolventin der Münchner Akademie für Mode und Design (AMD) erst im Januar, bei der AMD-Jahresmodenschau Next.09, den Preis als "zukunftweisendste Designerin" bekam, machte sie im Juli, im italienischen Triest, auch international Furore.
Vor den Augen von "Diesel"-Chef Renzo Rosso, der neben Vertretern anderer bekannter Häuser wie Maison Martin Margiela in der Jury saß, präsentierte Knackfuß ihre AMD-Abschlusskollektion beim Nachwuchswettbewerb der Design-Plattform IST (International Talent Support). Absolventen renommierter Mode- und Designhochschulen konkurrieren dabei um Preise in den Disziplinen Mode, Accessoires und Fotografie. Sinn des von lifestyleorientierten Unternehmen wie Diesel, Mini, Swarovski oder dem in London erscheinenden "i-D Magazine" gesponserten Wettbewerbs ist es, junge Kreative mit der Industrie zusammenzubringen. Die Branche lebt von frischen Ideen - und 2009 hatte Alice Knackfuß die besten.
Die Münchnerin setzte sich im Finale gegen die ambitionierten Konkurrenten des Londoner Central St. Martins College of Art & Design, des Royal College of Art London und der Antwerpener Hogeschool durch und gewann den mit 50 000 Euro dotierten "Diesel-Award" des gleichnamigen Modekonzerns. Ab November wird sie im Diesel Kreativteam in Molvena, einem kleinen Dorf in der Nähe Venedigs, hospitieren - zunächst für ein halbes Jahr.
"Diesel verpackt Mode in Geschichten, macht viel mit Bildausdruck, mit Musik, und der künstlerische Ansatz zieht sich durch die Kollektion", schwärmt Knackfuß, zurück in München, im Interview. Diesel und sie - das könnte passen: Das Unternehmen und die Designerin funken gewissermaßen auf einer Wellenlänge. Denn auch Knackfuß hat ein Faible fürs Erzählerische und ist dazu noch eine begnadete Illustratorin. "Ich habe nie eine offensichtliche modische Inspiration. Ich bade lieber in Gefühlswelten. Und übersetze das in eine Art Bühnenbild."
Für die Kollektion, die in Triest begeisterte, hat sie viel Rilke gelesen: Duineser Elegien, Natur- und Landschaftsgedichte, die der Schriftsteller und Dichter in der Endzeitstimmung vor dem Ersten Weltkrieg, bei einem Aufenthalt auf Schloss Duino, der Prinzessin Marie von Thurn und Taxis schrieb.
In eine Landschaft, die am Tag vor Hitze flimmert und am Morgen im Nebel dampft, hat sie in Gedanken und später in ihrem Workbook eine Kompanie junger Männer gestellt, die irgendwie verloren wirken. Ein versprengter Haufen. Aus einer anderen Zeit? Mit Mullbinden um den Kopf erinnern ihre Protagonisten an Gottfried Helnweins "malträtiertes Kind", das der Maler als Chiffre für den wehrlosen Menschen verwendet.
Auf diesem eher ungewöhnlichen Weg nähert sich Knackfuß ihrem Thema: Der Mode und was sie mit den Männern macht. "Im ausgehenden 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Regeln in der Männermode noch ziemlich restriktiv." Knackfuß zitiert mit Stehkrägen, Manschetten und Gamaschen, mit Uniformjacken, Pelerinen und pedellhaft anmutenden Schwalbenschwänzen das Stilrepertoire einer Epoche, deren eingeschnürter Look viel über bürgerliche Zwanghaftigkeiten verrät.
Ausreißer und Abwandlungen, mit denen sie den Komment sprengt, werden oft erst auf den zweiten Blick sichtbar: Jacken sehen aus wie verknöpft; Knöpfe passen nicht zueinander; Stehkrägen sind auf einer Seite heruntergeklappt. Insgesamt wirkt die Kollektion wie eine Aufforderung zum zivilen Ungehorsam. Doch der Designerin geht es nicht um Politik. Sie sei ein viel zu unpolitischer Mensch, um Revolutionen loszutreten, sagt Alice Knackfuß. "Ich frage mich nur: Was ist schöner? Mit der Masse mitzuschwimmen? Oder seinen eigenen Stil zu leben?"
Weil in der Damenmode längst alle Tabus gebrochen wurden und es für Designer in der alltäglichen Arbeit nur noch darum geht, "immer noch einen draufzusetzen", ist der klar umrissene Kanon der Männermode die größere Herausforderung für die junge Designerin - zumal sie im Ansatz eher konservativ denkt. "Ich sehe Männer nun mal lieber im Anzug. So, wie Männer es lieben und genießen, wenn die Frau sich in ein Kleid wirft."
Der moderne Mann, wie Knackfuß ihn sieht, soll nicht vergessen, wo er herkommt. Vor allem aber soll er wissen, wer er ist. Dass sie mit 26 schon den Mumm hat, Stellung zu beziehen, hat die Designerin auch ihren Förderern zu verdanken. Neben den Lehrern an der AMD, wo Knackfuß schon im zweiten Semester mit dem "Newcomer of the Year"-Award ausgezeichnet wurde, haben auch Designer wie die Wienerin Ute Ploier und der Belgier Kris van Assche, Kreativdirektor bei Dior Homme, sie geprägt. Beide lassen
Ute Ploier zum Beispiel, die als Meisterin des Understatements gilt, lässt ihre schlichten Trenchcoats, die Smokinghosen und figurbetonten Anzüge erst von Freunden auftragen, bevor sie sie in die Kollektion übernimmt. Und Kris van der Assche war vor Kurzem einer der Ersten, der das Slim-fit- und Röhrenhosen-Diktat der vergangenen Jahre mit lässig-bequemen Hosen und Sakkos unterlief.
Auch Knackfuß mag es unkompliziert, die Praktika in Wien und Paris wirken nach. "Männer, die sich intuitiv anziehen, sind mir lieber als die, die sich vor dem Spiegel bemühen. Es geht in der Mode nicht darum, aufzufallen. Mir ist wichtig, dass einer sich wohlfühlt in dem, was er trägt."
In ihrer Kollektion mit dem Titel "Heimwärts" vermeidet die Designerin trotz irritierender Details - bis hin zu ausgebeulten Sakkos, die mehr an eine Fehlhaltung denken lassen als an bewusste Schnittführung - jede Effekthascherei. Die Männer sollen endlich ankommen dürfen. Das ist auch der Sinn ihrer Vierfarbenlehre: Schwarz und Blau in der Kollektion stehen für das Bild der verlorenen Seelen, Rot für Aufruhr und Weiß für den Zustand der Unschuld.
Knackfuß ist ernsthaft und verspielt zugleich. Und: Sie hat Humor. Jungs bekommen in ihr eine Komplizin: Sie hat nicht nur Verständnis für den Tick vieler Männer, die an obskuren Einzelteilen - der alten Lederjacke, dem Metallica-Shirt - hängen. Sie schürt die Obsession auch noch. "Ich will nicht, dass meine Mode alle sechs Monate komplett neu erfunden werden muss. Ich will Lieblingsstücke kreieren", sagt sie. Ihr Lieblingsteil, eine Jeansjacke aus den 90er-Jahren, trägt sie noch heute.




Nahoru